Vorrede zu der Epistel von St. Paulus an die Römer


Diese Epistel ist das eigentliche Hauptstück des Neuen Testaments und das allerlauterste Evangelium. Sie ist es wohl würdig und wert, daß sie ein Christenmensch nicht nur von Wort zu Wort auswendig wisse, sondern daß er auch täglich damit als mit täglichem Brot der Seele umgehe. Denn sie kann nimmer zu viel und zu gründlich gelesen oder betrachtet werden. Je mehr sie behandelt wird, um so köstlicher wird sie und schmeckt sie.
Darum will ich auch meinen Dienst dazu tun und will durch diese Vorrede, so viel mir Gott verliehen hat, eine Einleitung dazu geben, damit sie von jedermann umso besser verstanden werde. Denn sie ist bisher mit Deutungen und mancherlei Geschwätz böse verfinstert worden, während sie doch an sich ein helles Licht ist und vollkommen genügt, um die ganze Schrift zu erleuchten.
Zuerst nun müssen wir der Sprache kundig werden und wissen, was St. Paulus mit den Worten: Gesetz, Sünde, Gnade, Glaube, Gerechtigkeit, Fleisch u. dergleichen meint. Sonst nützt kein Lesen darin.
Das Wörtlein Gesetz mußt du hier nicht nach menschlicher Weise verstehen, als ob es eine Lehre darüber sei, was für Werke zu tun oder zu lassen sind. Mit Menschengesetzen geht es so, daß man dem Gesetz mit Werken genug tut, wenn auch das Herz nicht dabei ist. Gott dagegen richtet nach des Herzens Grund. Darum fordert auch sein Gesetz des Herzens Grund. Er läßt sich an Werken nicht genügen, sondern straft vielmehr die Werke, die ohne des Herzens Grund getan sind, wie Heuchelei und Lügen. Daher heißen alle Menschen Lügner, Psalm 116, darum, weil keiner aus Herzensgrund Gottes Gesetz hält noch halten kann. Denn jedermann findet bei sich selbst Unlust zum Guten und Lust zum Bösen. Wo nun nicht freie Lust zum Guten ist, da ist des Herzens Grund nicht am Gesetz Gottes. Da ist denn gewißlich auch Sünde und Zorn bei Gott verdient, obgleich auswendig viel guter Werke und ehrbares Leben scheinen.
Daher zieht Paulus im 2. Kapitel den Schluß, daß die Juden alle Sünder sind, und sagt, daß nur die Täter des Gesetzes bei Gott gerecht sind. Er will damit sagen, daß niemand mit Werken des Gesetzes Täter ist, sondern sagt vielmehr zu ihnen folgendermaßen: Du lehrst, man solle nicht ehebrechen, und du brichst die Ehe; ferner: Auf dem Gebiet, wo du einen anderen richtest, verdammst du dich selbst, weil du ebendasselbe tust, was du richtest. Es ist, als wolle er sagen: Du lebst äußerlich fein in des Gesetzes Werken und richtest die, die nicht so leben, und weißt jedermann zu lehren; den Splitter siehst du in der Anderen Auge, aber des Balkens in deinem Auge wirst du nicht gewahr. Denn obwohl du äußerlich das Gesetz mit Werken hältst, aus Furcht vor Strafe oder aus Liebe zum Lohn: so tust du doch das alles ohne freie Lust und Liebe zum Gesetz, vielmehr mit Unlust und Zwang. Du möchtest lieber anders handeln, wenn das Gesetz nicht wäre. Daraus folgt, daß du von Herzensgrund dem Gesetze feind bist. Was ist denn das, daß du andere lehrst, nicht zu stehlen, wenn du im Herzen selbst ein Dieb bist, und es auch äußerlich gerne wärst, wenn du das wagtest? Indes bleibt auch das äußerliche Werk bei solchen Heuchlern auf die Länge nicht nach. So lehrst du andere, aber dich selbst nicht; weißt auch selbst nicht, was du lehrst, hast auch das Gesetz noch nie recht verstanden. Ja, außerdem mehrt das Gesetz die Sünde, wie es Kap. 5 heißt, darum weil ihm der Mensch nur feinder wird, je mehr es fordert, was er alles nicht kann.
Darum heißt es Kap. 7: Das Gesetz ist geistlich. Was heißt das? Wenn das Gesetz leiblich wäre, so geschähe ihm mit Werken genug. Nun aber, wo es geistlich ist, tut ihm niemand genug,  falls nicht alles, was du tust, von Herzensgrund geht. Aber ein solches Herz gibt niemand als Gottes Geist, der macht den Menschen dem Gesetz entsprechend, daß er von Herzen Lust zum Gesetz gewinnt und er hinfort nicht aus Furcht noch Zwang, sondern aus freiem Herzen alles tut. So ist das Gesetz geistlich: es will mit einem geistlichen Herzen geliebt und erfüllt sein und fordert einen solchen Geist. Wo der nicht im Herzen ist, da bleibt Sünde, Unlust, Feindschaft wider das Gesetz, das doch gut, gerecht und heilig ist.
So gewöhne dich nun an die Rede, daß es etwas ganz anderes ist, des Gesetzes Werke tun, als: das Gesetz erfüllen. Des Gesetzes Werk ist alles, was der Mensch aus seinem freien Willen und eigenen Kräften am Gesetz tut oder tun kann. Weil aber unter und neben solchen Werken im Herzen Unlust und Zwang zum Gesetz bleibt, so sind solche Werke alle verloren und nichts nütze. Das meint St. Paulus Kap. 3, wo er sagt: Durch Gesetzeswerk wird vor Gott kein Mensch gerecht. Daher siehst du nun, daß die Schulzänker und Sophisten Verführer sind, wenn sie lehren, sich mit Werken zur Gnade zu bereiten. Wie kann sich einer mit Werken zum Guten bereiten, der kein gut Werk ohne Unlust und Unwillen im Herzen tut? Wie wird Gott Lust an einem Werke haben, das aus einem unlustigen und widerwilligen Herzen kommt? Aber das Gesetz erfüllen, das heißt: mit Lust und Liebe seine Werke tun und frei, ohne des Gesetzes Zwang, göttlich und fromm leben, als gäbe es kein Gesetz oder Strafe. Diese Lust freier Liebe aber gibt der Heilige Geist ins Herz, wie es heißt Kap. 5. Der Geist aber wird nur in, mit und durch den Glauben an Jesus Christus gegeben, wie es in der Einleitung heißt. So kommt der Glaube nur allein durch Gottes Wort oder das Evangelium, das von Christus predigt, wie er ist Gottes Sohn und Mensch, gestorben und auferstanden um unsertwillen.
Daher kommt es, daß allein der Glaube gerecht macht und das Gesetz erfüllt. Denn er bringt aus Christi Verdienst den Geist. Der Geist aber macht ein Herz voller Lust und ein freies Herz, wie das Gesetz es fordert. So gehen denn die guten Werke aus dem Glauben selber hervor. Das ist gemeint Kap. 3, wo des Gesetzes Werke verworfen waren, so daß es lautet, als wolle er das Gesetz durch den Glauben aufheben. Nein, sagt er, wir richten das Gesetz durch den Glauben auf, das heißt: wir erfüllen es durch den Glauben. –
Sünde heißt in der Schrift nicht nur das äußerliche, leibliche Werk, sondern all die Tätigkeit, die sich mit regt und wegt zu dem äußerlichen Werk, nämlich des Herzens Grund mit allen Kräften. Das Wörtlein „Sünde tun“ soll also bedeuten, daß der Mensch ganz in die Sünde dahinfällt und –fährt. Denn es geschieht auch kein äußerliches Werk der Sünde, ohne daß der Mensch ganz mit Leib und Seele hinanfährt. Und besonders sieht die Schrift ins Herz und auf die Wurzel und Hauptquelle aller Sünde: dies ist der Unglaube im Grunde des Herzens. Wie also der Glaube allein gerecht macht und den Geist und die Lust zu guten äußerlichen Werken bringt, so sündigt allein der Unglaube und bringt das Fleisch und Lust zu bösen äußerlichen Werken auf; wie es Adam und Eva im Paradies geschah, 1. Mose 3.
Daher nennt Christus einzig den Unglauben Sünde, indem er sagt Joh. 16: Der Geist wird die Welt strafen wegen der Sünde, daß sie nicht an mich glauben. Darum muß auch, ehe gute oder böse Werke, die guten oder bösen Früchte, geschehen, vorher im Herzen Glaube da sein; oder Unglaube als Wurzel, Saft und Hauptkraft aller Sünde. Diese heißt in der Schrift darum auch der Schlange Kopf und des alten Drachen Haupt, den des Weibes Same, Christus, zertreten muß, wie Adam verheißen ward, 1.Mose 3.
Zwischen Gnade und Gabe ist folgender Unterschied: Gnade heißt eigentlich Gottes Huld oder Gunst, die er uns gegenüber in sich trägt, vermöge deren er geneigt wird, Christus und den Geist mit seinen Gaben in uns zu gießen, wie das aus dem 5. Kapitel klar wird, wo es heißt: Gnade und Gabe in Christi u.s.w. Obwohl nun die Gaben und der Geist in uns täglich zunehmen und doch noch nicht vollkommen sind, so daß also noch in uns überbleiben böse Lüste und Sünden, die wider den Geist streiten, wie es heißt Röm. 7 und Gal. 5 und wie 1. Mose 3 der Hader zwischen des Weibes Samen und der Schlange Samen verkündigt ist: so tut doch die Gnade so viel, daß wir für ganz und voll gerecht vor Gott angesehen werden. Denn seine Gnade teilt und stückt sich nicht, wie die Gaben tun, sondern nimmt uns ganz und gar auf in die Huld, um Christi, unseres Fürsprechers und Mittlers, willen, und darum weil in uns die Austeilung der Gaben angefangen hat. So verstehst du das 7. Kapitel, wo sich St. Paulus noch einen Sünder schilt, und doch sagt er Kap. 8, es sei nichts Verdammliches an denen, die in Christo sind, trotz der unvollkommenen Geistesgaben. Wegen des ungetöteten Fleisches sind wir noch Sünder. Weil wir aber an Christus glauben und des Geistes Anfang haben, darum ist uns Gott so günstig und gnädig, daß er unsere Sünden nicht achten noch richten, sondern nach dem Glauben an Christus mit uns verfahren will, bis die Sünde getötet werde. –
Glaube ist nicht der menschliche Wahn und Traum, den etliche für Glauben halten. Und wenn sie sehen, daß keine Besserung des Lebens noch gute Werke folgen, und doch vom Glauben viel reden hören, so fallen sie in den Irrtum und sagen: der Glaube sei nicht genug, man müsse Werke tun, soll man fromm und selig werden. Das macht: wenn sie das Evangelium hören, so fallen sie daher und machen sich aus eigenen Kräften einen Gedanken im Herzen, der spricht: Ich glaube. Das halten sie dann für einen rechten Glauben. Aber wie das eine menschliche Erdichtung und Gedanke ist, den des Herzens Grund nimmer erfährt, so tut er auch nichts, und es folgt keine Besserung darauf.
Aber Glaube ist ein göttliches Werk in uns, das uns wandelt und neu gebiert aus Gott und den alten Adam tötet, aus uns ganz andere Menschen in Herz, Gemüt, Sinn und allen Kräften macht und den heiligen Geist mit sich bringt. O es ist ein lebendig, geschäftig, tätig, mächtig Ding um den Glauben, daß es unmöglich ist, daß er nicht ohn Unterlaß Gutes wirken sollte. Er fragt auch nicht, ob gute Werke zu tun sind, sondern ehe man fragt, hat er sie getan, und er ist immer im Tun. Wer aber nicht solche Werk tut, der ist ein glaubloser Mensch, tappt und sieht um sich nach dem Glauben und guten Werken und weiß weder was Glaube noch was gute Werke sind, wäscht und schwatzt doch viel Worte vom Glauben und von guten Werken.
Glaube ist eine lebendige, verwegene Zuversicht auf Gottes Gnade, so gewiß, daß er tausendmal drüber stürbe. Und solche Zuversicht und Erkenntnis göttlicher Gnade macht fröhlich, trotzig und voller Lust gegen Gott und alle Kreaturen: das macht der Heilige Geist im Glauben. Daher wird der Mensch ohne Zwang willig und voller Lust, jedermann Gutes zu tun, jedermann zu dienen, allerlei zu leiden, Gott zu Liebe und zu Lob, der einem solche Gnade erzeigt hat. Daher ist es unmöglich, Werk und Glauben zu scheiden, ja so unmöglich, wie Brennen und Leuchten vom Feuer nicht geschieden werden kann. Darum sieh dich vor vor deinen eigenen Gedanken und unnützen Schwätzern, die vom Glauben und guten Werken zu urteilen klug sein wollen und dabei die größten Narren sind. Bitte Gott, daß er den Glauben in dir wirke: sonst bleibst du wohl ewiglich ohne Glauben, ob du auch schaffst und tust, was du willst oder kannst. –
Gerechtigkeit: das ist nun solcher Glaube. Sie heißt Gottes Gerechtigkeit, oder Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, darum weil Gott sie gibt und um Christi, unseres Mittlers, willen als Gerechtigkeit rechnet. Sie macht, daß der Mensch jedermann gibt, was er ihm schuldig ist. Denn durch den Glauben wird der Mensch ohne Sünde und gewinnt Lust zu Gottes Geboten. Mit dem Glauben gibt er Gott seine Ehre und bezahlt ihm, was er ihm schuldig ist. Aber den Menschen dient er williglich, womit er kann, und bezahlt damit auch jedermann. Solche Gerechtigkeit können Natur, freier Wille und unsere Kräfte nicht zuwegebringen. Denn wie niemand sich selber den Glauben geben kann, so kann auch niemand den Unglauben wegnehmen: wie will denn einer eine einzige noch so kleine Sünde wegnehmen? Darum ist alles Falschheit, Heuchelei und Sünde, was außer dem Glauben oder im Unglauben geschieht, es gleiße, so gut es kann. –
Fleisch und Geist mußt du hier nicht so verstehen, daß Fleisch nur das sei, was die Unkeuschheit betrifft, und Geist das, was das Innerliche im Herzen betrifft. Sondern Fleisch nennt Paulus, wie Christus Joh. 3, alles, was aus Fleisch geboren ist, den ganzen Menschen, mit Leib und Seele, mit Vernunft und allen Sinnen, darum weil alles an ihm nach dem Fleisch trachtet. Daher wisse, daß du auch den fleischlich zu nennen hast, der ohne Gnade von hohen geistlichen Dingen viel ausdenkt, lehrt und schwatzt, wie du das aus den Werken des Fleisches Gal. 5 wohl lernen kannst, wo er auch Ketzerei und Haß Fleischeswerk nennt; und Röm. 8 heißt es, daß durch das Fleisch das Gesetz geschwächt werde. Das ist nicht von Unkeuschheit, sondern von allen Sünden, allermeist aber von Unglauben, der das allergeistlichste Laster ist, gesagt. Umgekehrt auch sollst du den geistlich nennen, der mit den alleräußerlichsten Werken umgeht. So Christus, als er der Jünger Füße wusch, und Petrus, als er das Schiff führte und fischte. Ebenso sollst du wissen, daß Fleisch ein Mensch ist, der inwendig und auswendig lebt und das tut, was zu des Fleisches Nutzen und zum zeitlichen Leben dient; Geist einer ist, der inwendig und auswendig lebt und das tut, was dem Geist und dem zukünftigen Leben dient. –
Ohne ein solches Verständnis dieser Wörter wirst du weder diese Epistel von St. Paulus noch ein Buch der Heiligen Schrift je verstehen. Darum hüte dich vor allen Lehrern, die diese Worte anders brauchen, sie seien wer sie immer wollen, wenn es auch Hieronymus, Augustinus, Ambrosius, Origenes und ihresgleichen und noch Höhere wären.
Nun wollen wir zur Epistel greifen ...
So finden wir in dieser Epistel aufs allerreichlichste, was ein Christ wissen soll, nämlich, was Gesetz, Evangelium, Sünde, Strafe, Gnade, Glaube, Gerechtigkeit, Christus, Gott, gute Werke, Liebe, Hoffnung, Kreuz ist, und wie wir uns gegen jedermann, er sei fromm oder ein Sünder, stark oder schwach, Freund oder Feind, und gegen uns selber verhalten sollen. Ferner ist das alles durch Schriftstellen trefflich begründet, durch Beispiele aus sich und aus den Propheten bewiesen, so daß hier nichts mehr zu wünschen ist. Darum scheint es auch, als habe St. Paulus in dieser Epistel einmal in Kürze die ganze christliche und evangelische Lehre zusammenfassen und damit eine Einführung in das ganze Alte Testament geben wollen. Denn ohne Zweifel: wer diese Epistel gut im Herzen hat, der hat des Alten Testamentes Licht und Kraft bei sich. Darum lasse sie ein jeglicher Christ bei sich allgemein und stetig in Übung sein. Dazu gebe Gott seine Gnade!   Amen.


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